DAS MYSTERIÖSE
MUSEUMSGESCHENK

Ein menschenkundlicher Report
zwischen Science und Fiction

Hörspiel von Nold Egenter





PERSONEN:

RS1,2 ---------- Radiosprecher
I ---------- Interviewer (Marco Scharf)
K ---------- Frau Karsten (Museumsdirektorin)
M1-5---------- Mitarbeiter des Museums
J---------- Herr Jetzer (Zoodirektor)
N ---------- Herr Nick (Primaten-Verhaltensforscher)
S ---------- Herr Stilz (Architekturwissenschafter)
Ki ---------- Kind
V ---------- sein Vater
L ---------- Lehrling
F ---------- seine Freundin
D ---------- elegante Dame
H ---------- gepflegter Herr
G1,2 ---------- zwei Studenten oder Gymnasiasten
ZV ---------- Zeitungsverkäufer
St ---------- Stimmen in Nachtbar
Ga1, 2, 3 ---------- Gäste
Ke ---------- Kellner


 

I. TEIL

Einleitung



RS1: Verehrte Zuhörer. Vor gut zwei Monaten ging in unserer Stadt von der Leitung unserer naturhistorischen und völkerkundlichen Museen eine Meldung in die Presse, die über ein mysteriöses Museumsgeschenk berichtete. Eine grosse Kiste sei von einem ungenannt sein wollenden Spender aus Afrika angeliefert worden. Die Kiste enthielt einen glasartig durchsichtigen und schweren Würfel. Darin eingebettet war ein Objekt zu sehen, das 'zu wissenschaftlichen Zwecken' im Museum ausgestellt werden sollte. Nach einigem Zögern wurde der Würfel dann auch in der Eingangshalle aufgestellt. Die ersten Zeitungsberichte spekulierten vor allem über die Identität des geheimnisvollen Spenders und über seine Beweggründe. Der Inhalt des Würfels blieb rätselumwoben. Verschiedene Versionen kursierten. Das Museum hielt sich offenbar um der Propagandawirkung willen deutlich zurück mit Information über den Inhalt. Unser Reporter Marco Scharf bearbeitete den entsprechenden Bericht fürs Radio. Da Experten befragt werden mussten, nahm die Arbeit mehrere Tage in Anspruch. Plötzlich, so mysteriös die Sache aufgetaucht war, so mysteriös verschwand sie wieder. Das Geschenk sei vermutlich von Händlern des Kunst- und Kuriositätenmarkts nachts unter Verwendung eines Nachschlüssels entwendet worden. Der Polizei fehlte jede Spur. So lauteten die offiziellen Meldungen.

RS2: Für uns vom Radio völlig unerklärlich war, wie die Reportage, die sich damals praktisch fertiggestellt im Schneideraum befand, plötzlich verschwinden konnte. Die Polizei mass dem allerdings keine Bedeutung zu. Auch wusste ja niemand so recht, was die Reportage zum Inhalt hatte. Nach dem Diebstahl verbreitete sich schnell ein Gerücht, das auch heute noch schwelt: es habe sich um 'heisses Wissen', um einen gefährlichen Denkanstoss gehandelt. Manche sprechen von einer neo-aufklärerischen Zeitbombe. Deshalb sei der Würfel von einer beauftragten Untergrundorganisation rasch beiseite geschafft und so entschärft worden. Den Spender habe man mit einer beträchtlichen Summe abgefunden. Er sei durch das anonyme Geschenk reich geworden.

RS1: Hinzu kommt das mysteriöse Verschwinden des Reporters. Als der Leiter des Nachtstudios jenes Abends den Diebstahl entdeckt hatte, versuchte man natürlich sofort Herrn Scharf zu erreichen, fand ihn aber nicht. Anderntags schneite uns seine schriftliche Kündigung ins Haus: per express! Erkundigungen am selben Tag ergaben, dass er auch seine Wohnung gekündigt hatte. Er war in derselben Nacht nach unbekannter Adresse verreist. Der Schlüssel steckte, Wertgegenstände und Dokumente waren entfernt. Die Wohnung hinterliess keinerlei Hinweise für einen Gewaltakt, alles war von ihm geregelt worden. Kein Grund also, die Polizei zu benachrichtigen. Dennoch fragte man sich besorgt: war er bedroht, vielleicht sogar entführt worden?

RS2: Vor einer Woche nun erreichten uns per Flugpost einige Tonbandkassetten aus Süd-Amerika. Poststempel: Flugplatz von Rio de Janeiro. Kein Absender. Zwischen den Kassetten eine kurze Notiz: 'ich sende Ihnen im Auftrag von Marco Scharf die beiliegenden Tonbänder mit einem Zettel von ihm. Mein Name ist nicht wichtig.' An diese Notiz war eine Zettel geheftet. Er trug Marco Scharfs Schriftzüge: 'Ich ahnte beizeiten, wie das rauskommt. Habe von Anfang an alles im Doppel überspielt. Kopie meiner Kopie in der Beilage. Über den Rest später. Herzlich: Marco.' Soweit zu den Kassetten aus Südamerika, die wir Ihnen nun im Folgenden zu Gehör bringen.
 
 

Erstes Interview



(Museums-Eingangshalle. Hallend. Im Hintergrund hämmern, sägen, klopfen. Zuweilen Zurufe der Handwerker. Marco Scharf vom Radio interviewt Frau Karsten)

I: Frau Karsten, sie sind geschäftliche Direktorin gleich zweier Stadtmuseen zusammen, des Naturhistorischen Museums - Stichworte Dinosaurier, Mammutzähne, u.s.w. - und des Völkerkundlichen Museums - Stichworte traditionelle Kulturen Afrikas und Südost-Asiens. Wir haben vereinbart, dass ich sie heute besuche und dass sie unsern Hörern etwas über das mysteriöse Geschenk erzählen, das ihnen kürzlich ins Haus geschneit ist.

K: Ich begrüsse sie, Herr Scharf, und die Radiohörer herzlich, muss mich aber gleich entschuldigen. Ich habe bei unserer Verabredung nicht daran gedacht, dass wir heute für eine neue Ausstellung die Handwerker im Haus haben. Na sie werdens wohl hören. Ich hoffe, unser Gespräch kommt trotzdem gut verständlich durch. Worum es geht? Letzte Woche brachte unser Spediteur eine beträchtlich grosse Holzkiste auf die Laderampe hinter dem Haus. Im Frachtbrief aus Afrika stand bloss 'Ein Objekt zu wissenschaftlichen Ausstellungzwecken. Geschenk an das Museum so und so - das war unzweifelhaft unseres. Von ungenannt sein wollendem Spender.' Das war alles. Es ging noch mehrere Tage bis der Packer kam. Der kommt bei uns nämlich nur einmal wöchentlich, am Montag. Alle Angestellten erwarteten ihn punkt acht. Keiner war da zu spät gekommen! Die Kiste wurde ins Lager gebracht. Der Packer öffnete sie fachmännisch. Alle Mitarbeiter des Museums standen gespannt darum herum, manche auf Stühlen, neugierig auf den ersten Blick. Als der Deckel aufsprang, sah man noch nichts. Das Geschenk war dicht verpolstert. Als dann alles weggeschält war, stand ein glasklarer Würfel wie ein riesiges Stück Eis in unserer Mitte. Das hätte keiner erwartet. Ein perfekt geschliffener Harzblock aus Afrika?. Alle waren höchst erstaunt.

I: Darf ich den Würfel kurz beschreiben? In dem durchsichtigen und schweren Glaswürfel von etwa l m Seitenlänge ist etwas Pflanzliches eingebettet, eine dicke grosse Scheibe aus grünen Blättern und Knebeln. Sieht aus wie ein riesiges Vogelnest, ist aber roher, doch recht prägnant verflochten und ganz mit grünen weichen Blättern ausgepolstert. Das Gebilde ist wie in einem Eisblock festgefroren, sozusagen taufrisch präpariert. Was haben ihre Mitarbeiter dazu gesagt?

K: Was soll das? Wozu dieser absurde Aufwand für ein bisschen grünes Gezweig? Ein schlechter Scherz? Ist heute der erste April? Das waren die ersten, etwas bestürzten Fragen. Man hatte irgendwie schöne afrikanische Skulpturen für die völkerkundliche Abteilung oder eine Sammlung interessanter Knochenfunde, z.B. über eine verschollene Tierart erwartet. Jedenfalls etwas Bekanntes, mit dem man etwas anzufangen wusste. Alle waren enttäuscht. Aber, was war es überhaupt? Wir haben die Diskussion aufgezeichnet. Hier einige Ausschnitte

(Schnippt Tonband an).

M1: Von mir aus gesehen ist das am ehesten eine Lagerstelle oder eine Wiege eines primitiven Pygmäenstammes. Ich hab mal deren Hütten gesehen, ganz ähnlich gebaut. Das Verrückte, die haben ein ausgeklügeltes System symbolischer Bedeutungen für diese Urhütten aus Blättern und Zweigen, sind also ideologisch gar nicht primitiv. Vielleicht hat der Spender, ein Völkerkundler, das Ding bei einem abgelegenen Pygmäenstamm gefunden, wo man noch in solchen Nestern schläft. Vielleicht hängen die Nester irgendwie mit der Religion oder mit Schöpfungssagen zusammen, vielleicht spielt ihr Frischzustand eine besondere Rolle, dies der Grund warum der Spender die Liege in dieser Frischhaltepackung sandte. Doch: warum hat er keine Daten geliefert. Die Sache bleibt mysteriös. (Knacken im Tonband)

M2: Ich glaube eher, das ist ein frisches Nest eines vorsintflutlichen Vogelsauriers. Es würde heissen, dass die gar noch nicht ausgestorben sind, was ich immer vermutet habe. Ich bin überzeugt, das ist ein geheimnisvolles Zeichen, dass da irgendwo in den Urwäldern Afrikas noch so ein Fossil aus der Geschichte des Lebens herumflattert. Der Spender hat sich als Nesträuber betätigt. Er hat ganz sicher den geheimnisvollen Vogel gesehen. Eine Sensation, die ihn alles daran setzen liess, das Nest dauerhaft zu machen. Es beweist auch, dass die Vogelsaurier schon Nester bauten. Da ist zweifellos was dran! (Knacken im Tonband).

M3: Na hört doch auf mit dem Unsinn. Das ist ganz einfach. Da hat gestern noch ein Affe drin geschlafen. Ganz konkret und real. Das hat ein Schimpanse oder ein Gorilla geflochten. (Gelächter)

M2: Willst du auch noch, dass die Affen Eier legen? So ein Blödsinn. Die Affen bauen doch keine Nester! Ich schenk dir zum nächsten Geburtstag ein Zoologiebuch.

M1: Ich bin nicht Zoologe, das wisst ihr alle. Und schliesslich haben wir uns an diesen Mitarbeitersitzungen auf offene Diskussionen geeinigt. Ich hab es irgendwo mal gelesen. Mehr weiss ich auch nicht.

M4: Na hört auf mit dem Gezänk. Wir könnens ja mal 'das grüne Blutkörperchen' nennen, damit ihr euch nicht ins Gehege kommt. So sieht es doch aus, oder nicht? Vielleicht ist es tatsächlich ein selbstgebasteltes Blutkörperchen von einem Weltriesen aus den afrikanischen Sagen. Er ist auferstanden, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen!

M5: Hör auf mit deinen Witzen. Wir sind hier eine wissenschaftliche Institution. Damit wir - bis wir Näheres darüber wissen - überhaupt davon sprechen können, lasst es uns mal ganz neutral und sachlich 'die grüne Liege' nennen. Sicher hat sich das irgend ein Lebewesen konstruiert, welches, das lassen wir offen. Und weiter fertigt es diese grüne Liege zweifellos deshalb, weil liegen irgendwie für dieses Lebewesen ein Bedürfnis ist.

(Knacken; Frau Karsten schnippt das Tonband aus)

K: Damit waren alle einverstanden. Man sprach nun allgemein von der grünen Liege und liess es offen, wem sie gehörte.

I: Hat sich die geheimnisvolle Sache dann aufgeklärt?

K: Ja, wenn wie so wollen. Wir telefonierten mit verschiedenen Instituten der Universität. Der Verdacht fiel mehr und mehr auf das Affennest. Die Abteilung für Zoologie bestätigte uns, dass sich Gorillas und Schimpansen in der Tat in der freien Wildbahn Afrikas täglich mindestens vor dem Schlafengehen für die Nacht ein Nest bauen. Dieser Sachverhalt sei aber bei uns kaum bekannt geworden, weil wir die Menschenaffen praktisch nur vom zoologischen Garten her kennten. Dort, in den gekachelten Käfigen sei ihnen dieser Brauch abhanden gekommen. (Etwas erregt) Herr Jetzer sollte eigentlich schon lange da sein! Wo bleibt er nur! (Knarren der grossen Eingangstür) Ah, da kommt er ja.

J: (Etwas ausser Atem) Entschuldigen sie bitte, Frau Karsten. Gestern habe ich meinen Wagen aus der Revision erhalten, heute morgen lief er nicht mehr an. Die machen einem mehr kaputt als ganz.

K: Darf ich kurz bekannt machen. Herr Scharf vom Radio, Herr Jetzer, Zoologe und Direktor unseres zoologischen Gartens.

I: Guten Tag.

J: Guten Morgen.

K: Herr Jetzer war so freundlich, auf unsere Verabredung hier nochmals herzukommen um unser mysteriöses Geschenk für unsere Hörer möglichst fachmännisch zu begutachten.

I: Herr Jetzer, ist das tatsächlich ein Affennest?

J: Obschon ich ja natürlich kein Spezialist für Affennester bin, ich bin überzeugt, dass dem so ist. Es muss in frischem Zustand vom entsprechenden Baum geschnitten worden sein. Dann hat man es offensichtlich unmittelbar präpariert und in Harz eingegossen.

I: Dann hat also tatsächlich da drin vor kurzer Zeit ein Schimpanse seine Nacht verbracht?

J: Ob es von einem Schimpansen oder von einem Gorilla fabriziert ist, das kann ich nicht eindeutig bestimmen. Sicher war es ein Baumnest, das lässt sich aus der Sägefläche am Hauptast erkennen. Es zeigt auch die für Baumnester typische Konstruktion, ist also sicher kein Bodennest. Bei Baumnestern werden ein Hauptast und zwei bis drei Nebenäste zu einer Plattform verflochten. Diese trägt dann hoch oben im Gezweig den kreisrunden Nestwulst aus feinern Seitenästen. Das Beispiel darf als sehr schönes Exemplar gewertet werden. Es ist kunstvoll geflochten und mit einer besonders weichen Blattart ausgepolstert. Die Tiere bevorzugen oft diese Bäume wegen ihres geeigneten Polstermaterials.

I: Für sie, Herr Jetzer, steht also fest, dass diese grüne Liege ein Affennest ist?

J: Ja, da bin ich ganz sicher.

I: Warum hat es der Spender nach ihrer Meinung dem Museum vermacht?

J: Was der Spender selbst im Einzelnen mit seinem mysteriösen Geschenk bezweckte, da sind natürlich nur grobe Mutmassungen möglich. Vermutlich stammt aber das Nest ursprünglich aus dem Kisoro Reservat. Dort gibt es eine ständige Beobachtungsstation, von welcher aus zahlreiche Freilandforschungen gemacht worden sind. So hat man sich etwa mit dem Gruppenverhalten beschäftigt, auch das Nestverhalten ist dort schon untersucht worden. Ob aber zur Zeit irgend ein Schalk dort an der Arbeit ist, das lässt sich natürlich nicht sagen. Sicher wollte er auf einen weissen Fleck auf unserer Wissenskarte aufmerksam machen. Die Schimpansen und Gorillas, die solche Nester bauen, gehören ja zu unseren nächsten Verwandten im Tierreich. Und der Umstand, dass diese Affen Nester bauen, ist - ausser einem kleinen Kreis von Primaten-Verhaltensforschern - heute in der breiteren - Öffentlichkeit kaum jemandem bekannt geworden.

I: Warum wurde das Affennest hier in der Eingangshalle der beiden Museen aufgestellt?

J: Das geht nicht unter meine Kompetenz. Da müssen sie Frau Karsten fragen.

K: Das wurde entschieden, bevor wir eigentlich zuverlässig wussten, um was es sich handelte. Wir haben das an der Mitarbeiterversammlung nach einem Tag erhitzter Diskussionen schliesslich einstimmig beschlossen. Einige fanden vorerst, Vogelnester und dergleichen hätten hier nichts zu suchen.

I:Da muss ich ihnen beipflichten.

K: Die wollten es in den zoologischen Garten abschieben.

I: Da gehört es nun ja eigentlich auch hin.

K: (forsch) Ja und Nein. Die zahlreicher gewordenen Vertreter der Affennest-Version wollten es als Mahnmal neben die eisernen Käfige stellen. Hoch oben an einem Stamm montiert, sozusagen als Freiheitsbaum für die gefangenen Tiere. Und gleichzeitig als kritisches Zeichen für die Besucher: schaut welch völlig entstelltes Verhältnis ihr zu diesen gefangenen Kreaturen habt! Das Wichtigste ist euch bis heute in euren Sonntags-Spaziergangs- Parks entgangen. U.s.w.. Ein zweites Votum will ich ihnen vom Tonband laufen lassen.

(schnippt Tonband an)

M6: ... nein ehrlich, ich finde das Ganze einen elenden Science-Kitsch. Das chemisch behandelte Edelgrün aus dem Dschungel passt mir gar nicht. Schliesslich bin ich formal für die Ausstellungsgestaltungen verantwortlich. Ich will diese scheussliche Kiste nicht im Museum sehen. In keiner Abteilung. Schaut euch doch diese unmögliche Kombination an, dieses von einem Urwaldwesen grob zusammengeknüppelte Nest und diese feinstgeschliffene Industrie-Geometrie in höchster Präzision. Zwei Welten. Das passt doch nicht zusammen. Ein Graus. Der hatte nicht den leisesten Geschmack. Wär mir lieber, er hätts in Bronze umgegossen. Das Ganze atmet den Duft von einem Tarzanschmöker. (Knacken im Tonband)

M7: Das ist auch völlig gegen jede moderne Ausstellungstechnik. Da gibts doch kaum mehr Vitrinen. Hin mit den Dingen vor den Besucher. Er soll sie genau sehen, anrühren können. Dieser Eiswürfel schafft die totale Distanz und verzerrt überdies gewisse Blickwinkel wie jene alten Vitriol-Gläser mit denen man im l9. Jhdt. das Leben der ganzen Welt in die imperialen Museen Wiens, Berlins, Paris' und Londons dauerhaft einbringen wollte. Nein nein, überall, nur nicht hier. Verhökert doch das Ungetüm an irgend einen skurrilen Liebhaber. Der wird schon zu finden sein. Niemand kann ein Museum zwingen, einfach nach der Pfeife beliebiger Spender zu tanzen!

(Knacken im Tonband; Frau Karsten schnippt es aus)

K: Sie sehen, das ging manchmal ganz erregt zu und her. Die meisten fanden aber, man behielte es lieber hier, statt es abzuschieben oder zu verkaufen. Es sei ja zweifellos das erste Affennest in einem Museum. Schon bloss dieser Umstand könnte vielleicht plötzlich einen Wert bekommen. Wie stünde man da, wenn später herauskäme, dass man nichts damit anzufangen gewusst hätte. So wurde es beschlossene Sache: das Nest sollte hier bleiben.

I: Sehr interessant. Damit haben sie aber meine Frage noch nicht beantwortet: Warum steht es hier im Eingang?

K: Da komme ich jetzt gleich darauf zu sprechen. Wenn es im Hause bleibt, wo sollte man es hinstellen? Zeigte man es im naturhistorischen Teil, so hiess das doch bereits, dass man es geschichtlich interpretierte. Es war ja nicht alt, sondern frisch, ein Stück unserer Zeit. Einige brachten den Gedanken auf, man solle es gleichsam als Fragezeichen in die Mitte der Ausstellung 'Tier-menschliches-übergangsfeld' stellen und so den Besucher zur Frage anregen: Spielte das Nesterbauen in der menschlichen Entwicklung eine Rolle? Andern lief es dabei kalt den Rücken hinunter. Wie wenn dieses grob zurechtgeflochtene Nest der geheime Faktor wäre, der den Formwandel der ringsum aufgestellten Schädel und Knochen irgendwie geheimnisvoll auf dem Gewissen hätte? Hat dieses Nest die wandernden Augenhöhlen auf den Fokus der tätigen Hände gerichtet? Hatte es mit den Millionen alten Schädeln etwas zu tun? Stand es hinter der deutlich ersichtlichen Gehirnvolumen-Zunahme? Hat es über Millionen Jahre den Griff der Hand geschult? Hat es den Körper seines Erbauers aufgerichtet, indem es auf irgend eine Art wachstumsfähig war? Ich kann ihnen sagen, das waren stellenweise sehr gereizte Auseinandersetzungen, bei denen es um Gott und die Welt ging. Aber mit solchen wilden Mutmassungen lässt sich natürlich kein Museum betreiben. Auch die völkerkundliche Abteilung kam nicht in Frage. Auch hier gabs zwar einige Hitzköpfe, die auf die wissenschaftliche Transparenz unserer Hausordnung pochten. Wir sollten der Fragwürdigkeit der Wissenschaft mehr Ausdruck geben. Hier läge eine Chance. Flechten mit Gräsern und Zweigen sei ja eines der hervorstechendsten Merkmale primitiver Kulturen. Man solle den Besucher herausfordern und das Nest dreist neben die wunderschönen afrikanischen Körbe, Netze, Dosen, Matten, Masken, Bastkleider, u.s.w. stellen und schauen, wie der Besucher reagiert. Das wurde von den Meisten aber heftig bekämpft. So plump könne man sich nicht auf die -Äste begeben. Die Archäologen würden uns als völlige Spinner abkanzeln. Man einigte sich schliesslich darauf, ein Museum müsse gesichertes Wissen anbieten und dürfe den Besucher nicht durch Spekulationen verunsichern. Dennoch waren diese Diskussionen intern natürlich sehr gewinnbringend, wir müssen da dem unbekannten Spender ein Kränzlein winden. Sie entzündeten sich eindeutig an dem Umstand, dass die herausfordernde Harzkiste in unserem Haus stand und uns ganz konkret dazu zwang, etwas damit anzufangen. Um zum Schluss zu kommen: Die von allen einstimmig angenommene Lösung brachte schliesslich der Gedanke, das Affennest in der neutralen Eingangshalle aufzustellen. Darum steht es hier. Seine Besonderheit kommt so geradezu ideal zur Geltung. Es wird zum Rätsel, das beiden Museen einen Hauch von Geheimnis gibt. Ob man anschliessend in die völkerkundliche oder in die naturhistorische Abteilung geht: alles wird ein bisschen un-heimlich, ein bisschen ver-rückt, jedenfalls fragwürdig.

I: Am letzten Montag, also vor gut einer Woche erschien das erste Inserat. Hat dieser Entschluss, das mysteriöse Geschenk gleich auszustellen, nicht Mut gebraucht?

K: Natürlich. Das war eine Frage, die sehr schnell auftauchte. Sollte man es gleich als Sensation herausstellen, dabei etwas riskieren, und das Mysteriöse der Geschenksituation einbeziehen? Oder sollte man es lieber vorsichtig vorerst einmal in den Keller stellen und abwarten, was daraus wird. Nach langem Hin und Her entschieden wir uns für das Erstere. Man wollte die Chance nützen. Die Museumskasse konnte einen Zustupf brauchen. Betonung sollte auf dem mysteriösen Spender liegen, erst in zweiter Linie kam die Einordnung des Inhalts. So haben wir das Ereignis auch in die Presse gegeben; das war anfangs letzter Woche. Nun versuchen wir die Diskussion über die Bedeutung der mysteriösen Sache anzuregen.
 


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