STREIT UM BRUNO TAUT, JAPANISCHE GÖTTERSITZE UND AFFEN-ARCHITEKTEN


Die kunsthistorische Architekturtheorie gibt ihren Geist auf


Bericht über Indizien eines akuten Bildungsnotstands am 'Kunsthistorischen Institut' der Universität Tübingen, Deutschland

Von Nold Egenter

EINLEITUNG

Die meisten, die sich irgendwie theoretisch mit Architektur befassen, kennen wohl den Namen Amos Rapoport und sein Buch >House Form and Culture< (1969). Nicht allen jedoch ist bewusst geworden, dass sich damit im Architekturfach etwas grundlegend Neues angebahnt hat: die dezidiert wissenschaftliche Erforschung der Phänomene Bauen und Architektur. Das nennt sich heute Architektur-Ethnologie oder Architektur-Anthropologie. In knapp drei Jahrzehnten hat sich dieses Feld enorm entwickelt. Seit 1986 ist die UC in Berkeley (USA) wichtigstes Zentrum der weltweiten Erforschung traditionellen Bau- und Siedlungswesens. 1996 kommt in Cambridge (England) eine 4-bändige Encyklopädie zur Ethnologie des Bauens heraus. Schätzungsweise 3-4000 Forscher beschäftigen sich heute weltweit mit Architektur-Ethnologie, nicht wenige auch mit Architektur-Anthropologie (Egenter 1996). Die neue Orientierung hat bereits in zahlreichen Fächern der physischen, wie der kulturellen Anthropologie Interesse geweckt. Fächer wie Primatologie, Paläoanthropologie, Vorgeschichte, Archäologie, Geschichte, Ethnologie, Volkskunde, aber auch Philosophie, Religionswissenschaft, Japanologie, Sinologie, Indologie usw. haben ihr Interesse angemeldet.

Es liegt auf der Hand dass der alteingesessene Treuhänder der Verbindung von Architektur und Wissenschaft sich mit Händen und Füssen sträubt. Die neuen Begriffe globaler Forschung setzen das eurozentrische Kunststübchen in den Ab-Ort. Es hat ausgedient, zumindest in Sachen 'Architektur-Theorie'. Die neuen Themen der Architektur-Anthropologie sind für die europäische Kunsthistorie einige Nummern zu gross. Wir reden von der sogenannten "Kunstwissenschaft".

Es gäbe wohl kein besseres Beispiel, dieses neue Spannungsfeld zu illustrieren, als die kleine Episode, die sich kürzlich in aller Stille um einen kunsthistorischen Aufsatz von Regine Prange (Prange 1995) ereignet hat. Der Autor des Buches 'Architektur-Anthropologie - Die Aktualität des Primitiven in der Architektur' (Egenter 1992) wurde vor der Drucklegung um die Reproduktionsrechte einiger Bilder seines Buches angefragt. Es entspannen sich schriftliche Diskussionen um die Kompatibilität von Anthropologie und eurozentrischer Kunsthistorie. Skepsis wurde angemeldet (Prange 1995, Anm. 43) . Nun ist die kunsthistorische Arbeit publiziert. Wie zu erwarten: ein wissenschaftlich dilettantischer Legitimationskrampf. Die Arbeit erweist sich überdies in veschiedener Hinsicht derart ahnungslos in Sachen moderner Anthropologie, dass das Brecht'sche 'was fällt soll man noch stossen' recht leicht fällt. Eines ist sicher: die Kunsthistorie hat in der neueren Architekturforschung nichts mehr zu suchen.

BRUNO TAUTS ARCHITEKTUR-IDEEN IN DER KUNSTHISTORISCHEN MüHLE

Der kunstgeschichtliche Aufsatz von Regine Prange ist in einen Sammelband erschienen, dessen Titel - 'Faszination des Organischen' - aufhorchen lässt. (1995, iudicium-Verlag, München). Die zusammenfassende Erklärung zum Buch meint, das Organische sei in übertragener Bedeutung und als Wunschvorstellung, "seit der Aufklärungszeit in der Literatur- und Geistesgeschichte lebendig geblieben." Doch, "spätestens im 20. Jahrhundert" wurde die "Willkürlichkeit, Absolutheit und Ideologieanfälligkeit jeglichen synthetischen Organismusdenkens" offensichtlich. Dies habe den historischen Blick geschärft. Gemeint sind vor allem die "Legitimationsstrategien des Organischen seit der Kunstperiode um 1800". Schon zur Goethezeit verheisse "die Verherrlichung des Organischen Rettung vor dem Mechanischen, Stärkung des Individuums, nach innen gegen die äusseren Zwänge der modernen Welt...."

Wohlverstanden, schon hier gilt es die Ohren zu spitzen. Recht sublim wird vom Faktischen abstrahiert, in langen, gestelzten Sätzen - man liest darüber hinweg. Es werden Idealisierungsprozesse eingeleitet. Quintessenz: jegliche Beschäftigung mit dem Organischen verliert potentiell ihre Objektivität. Man erkennt die Stossrichtung. Anthropologie und Biologie werden zu psychologischen 'Abwehrstrategien' verdünnt. Manchem wird schon nur aus diesen paar Sätzen klar, woher der Wind pfeift. Eine alte, machtvolle Tradition, geübt im Idealisieren, zieht wohl Fäden im Hintergrund.

Mit diesem Programm des Organischen als Wunschtraum und Abwehrstrategie, finden wir nun Regine Prange in ihrer Kunsthistorikerstube an der Arbeit. Sie hat viel Material von und über Bruno Taut gesammelt und merkt allmählich, dass sich all diese phantastischen Ideen, diese Architekturphantasien, wie man sie gemeinhin nennt, zu einem System zusammenbasteln lassen. Man kann sie alle - nach Prange - ob organisch oder anorganisch, irgendwie mit der Natur zusammenbringen. Tauts Glashaus mit der "schwingenden Silhouette" taucht uns ein in "die Impression pflanzlichen Emporspriessens". In einem Film Bruno Tauts verdeutlicht ein "wachsendes" Gebäude "das Genre eines phantastischen, in den Kosmos entrückten Filmschauspiels ...". "Stahlbetonrippen" werden "vegetabilisch romantisiert" zum "Geflecht"! So etwa tönt das durch den ganzen Aufsatz hindurch.

Der vage Kunsthistorikerjargon darf uns hier vorerst nicht stören. "Wortgespenster und Wortquallen" hat diese Art "Sprachfauna" schon Paul Hofer aus Pranges eigener Zunft genannt. Letztlich verdankt sich die Akzeptanz dieses Deliriums dem Umstand, dass die Kunsthistorie als Fach noch, wie die Theologie, zum einen platonisch deduziert, zum andern der mittelalterlichen Hermeneutik verpflichtet ist. Obschon Prange sich eigentlich mit Architektur befasst, nähert sie sich - bis auf einige konkrete Brosamen - der Sache als Wortauslegung, sie gehört offensichtlich zu jenen, die dem Geschriebenen mehr trauen als der Architektur. Die Begriffe mit denen sie operiert, bleiben so immer irgendwie nebulos in der Luft hängen. Architekturphantastik paart sich mit vagen Ideen zur Natur, zur Kultur, schnell ist man am Ziel: Bruno Taut steht unter Ideologieverdacht. Andersrum ist evident: man kann mit diesen nebulosen Ingredienzen beliebige Süppchen kochen, die in den getäferten Essälen der Kunsthistorie immer ihre Abnehmer finden. Nicht aber in der neueren Architekturwissenschaft.

In wesentlich vier Ideenzirkeln versucht sich Prange in der Bewältigung ihres 'phantastischen' Themas. Es sind da vorerst das "Kristallinische", dann das "Vegetabilische", schliesslich auch ein bisschen "Kosmisches", jedes mit entsprechendem - ziemlich beliebigem - Streubereich. Schliesslich - wer hätte es anders erwartet, kommt auch das - nun jedem verständliche - Weltgesetz hinzu: Sex (in roher Menge!). Mit diesen 4 Parametern hebt Prange Tauts Architekturphantasien ganz unsäglich leicht in ein höhere, allgemeinere Ebene der Natur-Kultur-Spekulation wobei sich die Begriffe, wie etwa der 'Kristall' bald als organisch oder anorganisch, Bauten als Gewächse und Gewächse als Bauten darstellen lassen. Architektur war ursprünglich 'leibhaftig', verliert aber diese 'Leibhaftigkeit' wieder. Das kunsthistorische Lieblingsgebäck, die kugelige Kosmossymbolik des 18. Jhdts (Ledoux usw.) und die immer wieder durchgekaute 'Urhüttenidee' (Laugier), schliesslich Ernst Haeckels schwindsüchtiger 'Monismus' sollen dem Geblabber historische Tiefe geben. Ja, gar von Naturwissenschaft ist die Rede. Alles kann in dieser begrifflichen Teigschüssel im gleichen Satz behauptet und auch wieder zurückgenommen werden. Kurz, Prange will uns so zeigen, dass Taut so originell nicht war, vielmehr in eine weitere historische Domäne zu stellen wäre, die dem Naturbegriff im Sinne der Schöpfung oder der Wissenschaft Grundgesetzlichkeit zumisst. Taut gerät damit, - nach Prange - gerade in seinen Gesellschafts- und Weltvorstellungen, in den unangenehmen Lichtkegel sehr konservativer Strukturen, die - Pranges Triumph - vehement im Widerspruch stehen zu seinen sozialistischen und progressiven Auffassungen.

Nota bene, Kunsthistoriker an sich sind zwielichtige Figuren, in gesteigertem Masse in der Architektur. Der Kunsthistoriker arbeitet in einem Zwischen von Bereichen, denen er nicht zugehört. Er ist weder Künstler, noch Historiker. Ersterer ist produktiv, setzt sich oft mit ganz elementaren materiellen Bedingungen auseinander. Gerade das will der Kunsthistoriker nicht. Ihm geht es um etwas Höheres. Das Geistige der Kunst will er greifen. Der Historiker andersrum hat es in der Regel mit absehbaren Fakten zu tun, Schlachtberichten zum Beispiel. Die Objekte des Kunsthistorikers sind demgegenüber meist ausdrücklich zweideutig, zum Beispiel Materie UND Geist, gerade in der Architektur. Das bringt ihn, paradoxerweise vor allem dort wo er sich als Wissenschaftler gebärdet - an den Rand der Legitimität, denn Wissenschaft grenzt ja gerade Zweideutigkeiten aus. Entweder: die Kunst ist weg, oder....? Die meisten flüchten hier in Richtung Geist, nutzen das pseudotheologische Milieu der Kunstwissenschaft, arbeiten mit Abstraktionen dritten Grades, wie etwa Prange das ausgiebig tut. Kurz, Pranges 40-seitiges Gequassel ist letztlich Ausdruck der kunsthistorischen Methode. Da sie als Kunsthistorikerin keinen Zugang hat zur Architektur-immanenten Struktur von Bruno Tauts 'un-logischen' Architektur-Metaphern, behilft sie sich damit, sie ins Aussen umzubiegen, sie an gesellschaftlich Sanktioniertem zu messen, sie in historisch Belegbarem wiederzufinden. Den Kern, das zeigt ihre Arbeit klar, kann sie weder beschreiben, noch begreifen. Bruno Taut landet so doch eigentlich recht einfach - kunsthistorisch-methodologisch programmiert - in der durch das Buchprogramm vorgezeichneten Ideologie!

Im Grunde ein tragisches Ergebnis, ein monumentales Missverständnis, das aber seine strukturellen Voraussetzungen letztlich darin hat, dass die Architektenrolle in unserer modernen Gesellschaft wissenschaftlich entmündigt ist - gerade weil sie, wesentlich unter dem Druck der sog. Kunstwissenschaft, immer noch postmedieval mythisch genialisiert ist. Weil Architektur - wie die Schöpfung - mit der Aesthetik am Metaphysischen teilhat - so geht die Doktrin - kann sie, rational, nur durch einen entsprechenden Klerus - dem der sog. 'Kunstwissenschaft', der Gesellschaft vermittelt werden.

In der autistischen Art auch, wie Prange über Tauts ,Phantasien' herfällt, zeigt sich ein weiterer methodisch programmierter 'Mechanismus' der Kunsthistorie. Der ameisenartige Auf- und Abbau des 'Zeitgeistes', der 'hohen Werte', des 'Stils' usw. nach dem altmödischen 'Blüte und Verfall'-Schema. Sind sie in Blüte, die Architektengenies, da werden sie unter Aufbietung aller medialen Mittel hochgejubelt, wie zur Zeit etwa Botta. Sind sie passé, sind sie schnell da, die kunsthistorischen Fäulnisbakterien, die ameisenhaften Leichenbuddler mit ihrem insektenhaften Mundwerk, machen das zuvor Grosse zum Abfall. Oder, im klerikalen Bild, es ist die alte Verwandtschaft von Hohepriestern und Totengräbern. Auch in dieser Handlangerrole einer ästhetisch aufgeblasenen Zyklik - in der Architektur ein gigantischer Verschleiss - ist Pranges Arbeit ein 'organisches' Produkt ihrer Zunft!

Architektur-anthropologisch gesehen sind, nebenbei, Tauts Ideen durchaus verständlich. Er ahnt mit seinen polaren Begriffen, mit der Zentrierung des Baulichen in seiner Ontologie eine 'post-fundamentalistische' Architekturtheorie! Doch, das muss einer späteren Studie vorbehalten bleiben.

PRANGES DILETTANTISCHER VEREINNAHMUNGSVERSUCH DER ARCHITEKTUR-ANTHROPOLOGIE

Soweit zu den kunsthistorischen 'Mechanismen', denen Pranges Arbeit unterliegt. Hinzu kommen aber subjektive Faktoren, die nun diesen Aufsatz - selbst wenn man ihn kunstwissenschaftlich hinnehmen wollte - völlig ungeniessbar machen. Es sind vor allem Pranges antiquierter, hermeneutischer Autismus, ihre Ahnungslosigkeit, was strukturelle Differenzen zwischen verschiedenen Kulturen anbetrifft, ihre absolute Inkompetenz in Sachen Ethnologie, Asienkunde und Anthropologie, die dort ins Auge fallen, wo sie ihre leichtfüssigen Uebergriffe inszeniert. Diese 'Szenen' verraten überdeutlich den Dilettantismus ihrer Arbeit. War hier letztlich die neuere '(D)Evaluation der Geisteswissenschaften' am Werk?

Pranges Welt "bisexueller Bedeutung"

Offenbar hat sich Prange bis etwa in die Mitte ihrer rund 40-seitigen Arbeit von ihren historistisch papierenen Herleitungen des 'Kristallinen', des 'vegetabilisch Spriessenden', des 'kosmisch Ausgreifenden' so sehr selbst frustriert, dass sie nun plötzlich den Hahnen aus ihrer engsten - offensichtlich problematischen - Intimsphäre voll aufdreht. Das soll nun den möglicherweise arg gelangweilten Leser von ihrer Sache überzeugen. Ein gewaltig kräftiger Riese, ein "Weltbaumeister" wird aufgebauscht und beschworen, er "wird zum Gesetz des Lebens selbst" erkoren. Groteskerweise entwickelt sich das an einem kleinen Bildstreifen Tauts, bei dem die "Gestalt eines Doms" einfach von oben nach unten gefilmt wird. Die Vorstellung 'wachsendes Bauwerk' führt aber die Autorin bereits ins Delirium. Dass all das sich nicht einer überreizten Stimmung des Lesers verdankt, wird in einem Hagel von eindeutigen Ausdrücken erhärtet. Es geht um die "symbolische Erektion des Turms", um eine Art 'höherer Baulust', um einen "Zeugungsvorgang kosmischen Ausmasses." Dieses hysterisch ins Kosmische übersteigerte, phallisch-vulvisch-mulmige Zeugungs- und Erzeugungsgeblabber beschwört dann weiter "Weibliches und Männliches in einer Gestalt ...vereint" als symbolischer "Coitus" und "Parthenogenese"! Ein "Domgebilde" wird so "zugleich Phallus und Vagina. ...". Diese Art "bisexueller Gotik" leitet dann über zu Tauts Bild der 'grossen Blume', die mit Tauts ins Bild gekritzelten Anmerkungen eine "Uralte Weisheit" als "wieder lebendig" preist: "Völlige Unverhülltheit in Geschlechtsdingen....".

Man muss doch wohl nicht weit suchen, um herauszufinden, woher diese 'Noblesse' des Nackten stammt. Sicher nicht von den griechisch-römischen Göttern. Sie waren anders nackt, unfleischlich, mythisch, als Antithese zum Profanen. Ueberdies sind diese anthropomorphen Göttergestalten nicht alt: Aegypten und Mesopotamien zeigen ganz anderes zum Thema Götterfiguren. Der nackte Edelmut entstammt vielmehr wohl Rousseau's Verherrlichung des Primitiven, ist somit eine recht neuzeitliche 'Weisheit' die stark auch mit der Bedeutung der Photographie für die Ethnographie zusammenhängt: all die unzähligen Ablichtungen von Nackten der sog. 'Natur'-Völker aus exotischen Dschungeln, die in die europäische Literatur gelangten. Mit andern Worten, gerade das was Prange hier als "Uralte Weisheit" hochjubelt in Tauts Ideenset ist eine Sichtweise neueren Datums, eine späte Akkumulation! Ueberdies ganz und gar nicht aus dem Architektenmilieu Europas! Ebenso, weiter, "Phallus und Rosette - wieder heiliges Symbol." Auch das ist weder "Uralte Weisheit", noch ist es poetisch, noch originelles Architektengebräu, auch nicht irgendwie kosmisch ekstatisch, sondern - schon von seiner verknorzten Dezenz her: eine absolut fiktive eurozentrische religionshistorische Konstruktion, deutlicher gesagt, ein Jahrhunderte alter Zölibatsschlamm mit dem man weltweit alles primitivisierte, was noch nicht unter die Erbsünde und entsprechende Triebverklemmung ging. Ziemlich geschmacklos, diesen abgestandenen exotisch-missionarischen Männer-Nachtschweiss von 'Fruchtbarkeitskulten', diesen eurozentrisch verblödeten Unsinn der penetranten Sexvermengung der 'Natur-Völker' nun 'kunst-theologisch' wieder aufzumotzen. Lassen wir doch endlich dieses hysterische Schwärmen!

Pranges prekärer "Seitenblick"

Mit diesem phallisch-vulvisch-ekstatisch-kosmisch-delirischen Instrumentarium verfällt Prange einem fatalen "Seitenblick", wie sie es nennt: nach Japan. Sie hat in einem Buch über japanische Kultsymbole aus Schilf und Bambus eine Form entdeckt, die ihrer Meinung nach dem Tautschen "Phallus und Rosette" - Motiv der 'grossen Blume' sehr nahe kommt. Schnell ist sie dabei - naiv: Taut war ja in Japan - ihr phallisch-vulviges Gemulme mit dieser Arbeit zu stützen. Dies umsomehr als ja im betreffenden Buch das Wort "Geschlechtssymbolik" auch aufgeführt ist: hurrah! Es steht allerdings in ganz anderem Zusammenhang.

In der von Prange zitierten Dorf-Monographie 'Göttersitze aus Schilf und Bambus' (Egenter 1982) und in einer weiteren, von ihr nicht erwähnten, rund 250 seitigen Arbeit mit rund 1000 Illustrationen zum gleichen Thema, wobei nun rund 100 Dörfer der Untersuchung zugrundeliegen (Egenter 1980, 1995), geht es wesentlich um wissenschaftliche (ethnologische) Architekturforschung.

Gegen die in der japanischen Volkskunde und Religionsgeschichte etablierte Auffassung, die entsprechenden Kulte seien wesentlich vom Kultfeuer geprägt, zeigen beide Arbeiten überzeugend, dass es sich (1) in diesen Kultsymbolen architekturtheoretisch um einen bisher nicht zur Kenntnis genommenen Typus semantischer Bauten handelt, die herkömmlich in der Religionsethnologie weltweit als Fetische u. dgl. erwähnt, aber nie objektiv untersucht wurden (2), dass es sich in dieser semantischen Architektur um eine ausserordentlich ausdrucksreiche Tradition handelt, die technisch vorgeschichtlichen Charakter hat, und die uns somit zahlreiche Fragen der Architektur, der Kunst und Kultur (Religion) anthropologisch neu erklären lässt. Dabei wurde (3) klar unterschieden zwischen einer architekturgenetischen "Struktursymbolik" und einer sekundären, späteren, von aussen angelagerten Art der Symbolik. Ueber diese Beziehungen wird nicht nur in den erwähnten Arbeiten ausführlich geschrieben, es liegen auch zwei weitere Studien zu diesem spezifischen Thema vor (Egenter 1981, 1994). All diese Arbeiten zeigen wie die primäre 'Struktursymbolik' über kategoriale Strukturanalogien in Beziehung zu äusseren Phänomenen treten kann (Baum, räumliche Siedlungseinheiten, chinesisches Yin-Yangdenken (jap. in-yô). Ein erkenntnistheoretisches Problem also. Unter dieser sekundär ,akkumulierten Symbolik' finden sich auch vereinzelt Beispiele bezeichnenderweise bloss kategorial angesprochener Geschlechter- (nicht physische Geschlechts-) Symbolik. Mit dem männlichen Penis und der weiblichen Scheide haben diese dominant baulichen Differenzierungen nichts zu tun. Die Aussage beider Bände liegt letztlich darin, kulturgenetische Fragen (Architektur, Semiotik, Symbolik, Aesthetik, Metaphysik) architektur-anthropologisch mit diesem universell verbreiteten, neuen Typus 'Semantischer Architektur' vom elementar Baulichen her zu beantworten. Offensichtlich hat Prange die Studie über 100 Dörfer gar nicht gelesen, oder absichtlich verdrängt. Vor dem Hintergrund dieser akribisch dokumentierten Untersuchung wird alles, was sie in ihrem "Seitenblick" schreibt, vor allem auch über ihrem reduktiven Autismus, zum hirnverbrannten Blödsinn.

"Zusammengebundene Schilfbündel dieser Art" sagt sie - ja, gibt es denn auch nicht zusammengebundene Schilfbündel? - "sind im übrigen [?] als kultische Vorform der anthropomorphen oder vielmehr bisexuellen Bedeutung ionischer und korinthischer Säulenordnungen verstanden worden." Wie bloss, fragt man sich, bringt jemand es fertig, in einen einzigen Satz so viel Unsinn hineinzupressen? Da ist einmal das Rahmenthema. Der Sache muss ja irgenwie das Organische übergestülpt werden. Von daher kommt Prange auf die Betonung von 'anthropomorph' was sich von ihrer kunsthistoristischen Fixierung auf den ihr wohl in -zig Vorlesungen eingehämmerten Satz 'Architektur war primär anthropomorph' in den Vordergrund zwängt. Die von Prange abgebildete Form ist aber gerade nicht 'anthropomorph'. Das im Oberteil befestigte Schilfbündel verkörpert in seinem horizontal umgebogenen obersten Teil das Sonnenrad (jap. 'nichirin'), als ganzes gilt es als Yin-Yang ähnliches Symbol, das sich aber - wie in beiden Büchern eingehend beschrieben, von baulichen Kriterien herleitet und grundsätzlich kategorial jede harmonische Zuordnung von Gegensätzen meint. Falls Prange im übrigen auch das abstrakte Yin-Yang Symbol reduktiv bloss als bisexuell versteht, ist ihr in Sachen Asienkenntnis wohl kaum mehr zu helfen.

Auch über den Schluss von Pranges Verbindung von Japan zu ionischen und korintischen "Säulenordnungen" (immer Vitruv im Hinterhirn) greift man sich an den Kopf. Die bauliche Verbindung zu Andraes Zeichnungen dreht sie um in Sexualsymbolik, lässt die architektur-anthropologische Erklärung, die letzlich auf eine anthropologische Begründung der Aesthetik zielt, einfach weg und nimmt sich die Frechheit, den Autor auch noch gleich als Sexualneurotiker hinzustellen: "Der Autor ist allerdings bemüht, den Gedanken an 'Phallizismus und dergleichen' entschieden zu vermeiden und betont intensiv den Ursprung aller Formen im 'Baulichen'. Den Verdrängungscharakter seines Konzepts einer 'Bauevolution' teilt er mit der expressionistischen Generation (...)". Mit Wissenschaft hat das natürlich nichts mehr zu tun, es liegt hart an einem krankhaften Autismus, der die Welt des andern gar nicht mehr wahrnimmt, allenfalls überhaupt noch Perzipierbares völlig 'organisch' in seine eigene Welt zurechtbiegt.

Ginge es somit nach dem von Prange Stipulierten, würde dem Autor dieser architektur-anthropologischen Untersuchungen - wiederum nach Prange wohl - die Ehre zuteil, rund 10 Jahre in Japan damit verbracht zu haben, symbolisch verbrämt zwar, dennoch wesentlich nichts anderes als Geschlechtsteile zu untersuchen. Man kann auf solche Unterstellungen unterschiedlich reagieren, entweder sich amüsieren, oder mitleidend den akuten Bildungsnotstand der Autorin in den Vordergrund stellen, oder aber sich ärgern darüber, dass eigene Arbeiten vor die Schweine geworfen werden.

Zum 2. Teil