- Fortsetzung -

Der traditionalistische Archetyp

"Die symbolische Bedeutung der Architektur ist die Architektur". "Eine Bank ist eine Bank." In Lugano hat Botta einen Baum auf ein GeschŠftshaus gepflanzt. Was soll der Baum dort droben? Erinnerung an die Urzeit? An welche? Oder bloss eingefrorenes GerŸstfest? Dauerfest fŸr die Bauarbeiter? Wo sind sie, die trunken lachenden Gesellen? Oder gilt es mehr lŠndlich? Ein Maibaum? Warum aber ist er - wie eine Burg - mit Backsteinen eingemauert? Wo ist der Kranz geblieben, den man jŠhrlich durch Hochklettern gewinnen muss? Tun das die Angestellten am Monatsende, wenn sie in der Chefetage ihren Lohn abholen? Jedenfalls, - irgenwie - das GeschŠftshaus ein Lebensbaum. Gehšrt das zu ihrem nordischen Register, Herr Botta? Entspricht das Ihrem Willen Všlkisches in die Stadt zu setzen? Wirklich, interessante Dinge haben sie da rausgefunden. Lugano hat wieder ein Gesicht. Wahrlich ein GebŠude mit Kšpfchen. Germanisches Bluts-erbe mitten in der Stadt. Eine Bank ist eine Bank. Das BŸrohaus als altgermanisches Heiligtum? Doch wo bleibt der Hain mit den heidnischen Jungfrauen? Der Parkplatz mit den schreienden Zebras wirds wohl nicht sein. Sind die mysterišs beleuchteten Schalterhallen die neuen OpferaltŠre? Werden hier wieder AhnengefŸhle beschworen? Oder gehts um die grosse Fruchtbarkeit? Dann wŠre aber doch vielleicht die Venus von Willendorf viel wirksamer als diese zurŸckhaltende Anlehnung an schwer VerstŠndliches aus der nordischen "Urzeit". Stellen sie sich vor: ein riesen Weib statt des Lebensbaums. Fette Schenkel und riesige BrŸste. Das verstŸnde jeder. Geschmacklos? Sicher. Ists der Lebensbaum weniger? "Die symbolische Bedeutung der Architektur ist die Architektur." Ein BŸrohaus ist ein BŸrohaus. "Eine Bank ist eine Bank." Tautologische Phrasen als Architekturtheorie?

Der kulturanthropologische Archetyp

Ein dritter Archetyp Botta's: die Hšhle. "Ich mšchte, dass mein Haus eine Erinnerung an die Hšhle ist, eine Erinnerung an den Gedanken des Schutzes, an die Idee der Wohnung Ÿberhaupt, ..." Brrrr! Eine richtig tiefe, aasfeuchte, mysterišse Tropfsteinhšhle, das dunkle Innere von Mutter Erde oder bloss ein †berhang wie gehabt beim Regen am letzten Sonntagsspaziergang? Feuerchen gemacht. War furchtbar schšn! Oder Schutz vor Mammuts und Lšwen, wie in Arnaud's >Kampf ums FeuerKirche fŸr Niemanden< - das Dunkel auf ewig sich selbst schŸtzt? Architektur fŸr die 'Post-Humane'?

Die Hšhle als WohnstŠtte des FrŸhmenschen, das ist eine seit langem hšchst fragwŸrdig gewordene Konstruktion. In der Urgeschichte spricht man sehr, sehr vorsichtig vom Hšhlenmenschen, weil man nie eindeutig beweisen kann, dass Menschen Hšhlen kontinuierlich bewohnten. Karl J. Narr zB. spricht in seinem zweibŠndigen >Handbuch der Urgeschichte< (3) sehr zurŸckhaltend bloss von Funden, nimmt allenfalls an, dass man dort temporŠr unter ungŸnstigen WitterungseinflŸssen Schutz suchte. Aber die sozialdarwinistisch-simplifizierte Sensation vom Hšhlenmenschen (vgl. den Witz, den sich die philipinische Regierung in den 70er Jahren mit den >Tasaday< auf Mindanao geleistet hat!) lebt emsig in Millionenfilmen weiter, feiert ihre Bildchen in den SchulbŸchern fort. Wenn es ihn gegeben hŠtte, den keulenschwingenden bluttriefenden Brutalo-FrŸhmenschen, der kontinuierlich in Hšhlen als der Behausung der "Urzeit" lebte, so wŠrs ein beispielloser Abstieg gewesen, von dem man sich nur schwer vorstellen kšnnte, wie die Menschheit sich erholte: die heutigen Menschenaffen leben allesamt friedlich geordnet in Gruppen - in, auf und mit tŠglich zum Teil mehrmals neu gebauten Nestern. Und bitte, das Affennest als Archetyp: wiederum ganz und gar nichts Gigantisches! (4)Vielleicht tŠte uns gerade etwas Bescheidenheit gut fŸr die nŠchsten 500 (oder 1000) Jahre.

Zum Schluss

Das sind nur drei Beispiele aus Botta's Meisterheft des Kleisterns. "Ich wŸnschte, dass in jedem Akt, den man heute vollbringt, noch die Erinnerung ... an die Geschichte der Urzeit gegenwŠrtig ist." Urzeit nach dem Prinzip Mottenkiste? Geschichtsklitterung sagt man dem in der historischen Fachsprache. Geschichtsklitterung als neomodernes Design-Prinzip? Botta be-kennt sich ganz unbekŸmmert dazu. In seinem 'Archaik des Neuen' Ÿber Stirling schreibt er, seine kompositionelle Weisheit ermšgliche "...eine Collage kontinuierlicher Zitate aus dem Erbe der Architekturgeschichte, ...". Abschliessend noch drei Bemerkungen:

1) MŸssen solch gross aufgezogene Narreteien endlos weitergehen? Grosse Worte, grosse Werte, grosse Spiele! Hoffnungen wecken. Après nous le déluge! Ein guter Freund wŠre jemand von dem man lernt, besonders wenn er Geschichte heisst!

2) Zweifellos, die moderne Welt ist komplizierter geworden. Ist die Flucht in das Ver-Ein-fachte die richtige Antwort? Kann uns derart Selbstgebasteltes des guten Hirten noch genŸgen? Sollten wir nicht vielmehr einmal zusammensitzen und darŸber reden was wir eigentlich wissen, und vor allem was wir wollen? (5)

3) Wurde nicht vor nicht allzu langer Zeit mit Šhnlich dilettantischen Geschichtsklitterungen FŸrchterliches angerichtet? Wer meint, das sei Ÿbertrieben, der gehe nach Berlin. Das Stadion ist wieder repariert. Gigantisch! Geometrie schafft Einheit grosser Ideen! Dort sagte man auch 'eine Arena ist eine Arena'. Und hat dann die 'griechischen Spiele' schamlos ausgenŸtzt.

Es scheint eine unbelehrbare Eigenschaft vieler Menschen zu sein, sich durch grosse Worte blenden zu lassen.

EPILOG

Zugegeben: fŸr jene nicht wenigen Architekten, die in den 60er Jahren ihre Ausbildung mit humaner Verantwortung wahrnahmen und aus der architekturkritischen Stimmung jener Zeit, aus dem eklatanten Mangel an Grundlagenforschung in der Raumplanung ihre Konsequenzen zogen und sich der anthropologischen Architekturforschung zuwandten, wurde die plštzliche Trendwende der Postmoderne zum Trauma. >Moderne<, das hatte trotz aller Schwierigkeiten und RŸckschlŠge immer auch Hoffnung bedeutet. Hoffnung auf neue Quellen, auf neue Methoden, auf neue Einsichten fŸr eine humanere Architektur. Die Moderne trug von Anfang einen Kern der fortwŠhrenden Erneuerung in sich.

DemgegenŸber ist die Postmoderne ohne Zweifel primŠr eine Reaktion gegen AuswŸchse technologischer RationalitŠt der Moderne. Reaktion, das meint hier auch negativ vor allem die rigide EinschrŠnkung des Horizonts auf die Stilfrage und zweitens ein angesichts der KomplexitŠt der Architektur unwŸrdige EinschrŠnkung an Reflexion. Die vormals tragenden Kategorien wurden simplizistisch in ihre Gegenwerte verkehrt, woraus dann - wie schon auf der geistig elementarsten Ebene eines Reiz-Reaktionsschemas - die 'neue Richtung' entsteht. Wellmer (1985) hat diese >Dialektik von Moderne und Postmoderne< kritisch beleuchtet. Man braucht seine etwas verkrampfte Bindung an Adorno nicht zu teilen, um einzusehen, dass er, besonders in seinem aus Anlass des 75 jŠhrigen Bestehen des deutschen Werkbundes gehaltenen Vortrags, wichtige architekturtheoretische Aspekte berŸhrt. Er bezieht sich unter anderem auf Jencks, der "die Wiederentdeckung der Sprache" als "die eigentliche Entdeckung der postmodernen Architektur" feierte. Auf der Ebene dieser nach linguistischem Vorbild semantisierten Architektur wird dann das Begriffspaar 'Univalenz-Polyvalenz' zum recht vordergrŸndigen Kunstgriff. Jencks knŸpft einfach an die bekannten Linien an, die der modernen Architektur "EindimensionalitŠt", dh. zeichenlose Eintšnigkeit, geschichtliche Einseitigkeit usw. vorwarf und setzt dem Negativen in begrifflich kaschierter BanalitŠt 'Polyvalenz' entgegen: dh. "semiotische KomplexitŠt", "KontextualitŠt" und "stilistischen Pluralismus und Eklektizismus". Welcher Stumpfsinn: aus eins machen wir viel.

Entsprechend simpel fŠllt Jencks' Rehabilitierung des Eklektizismus aus: "stilistische HomogenitŠt einer 'Bedeutungen' verkšrpernden Architektur kann es nur in Gesellschaften mit einem allgemeinverbindlichen 'Signifikationssystem' geben, also in traditionalen Gesellschaften." In industriellen Gesellschaften existieren solche Signifikationssysteme nicht mehr, die Architektur kann folglich nur noch "im Bewusstsein der historischen Distanz oder in ironischer Brechung aus den semantischen Potentialen der Vergangenheit schšpfen,...". Wellmer fšrdert aus dieser recht schwachen Grundierung der Postmoderne zwei wichtige kritische Punkte. Zum einen liege in diesem 'Neo-Eklektizismus' ein "ZugestŠndnis", nŠmlich, dass es zu einer "eigenen Sprache" nicht reicht. Aus der "Not der eigenen Sprachlosigkeit" mache sie eine Tugend, die "eines willkŸrlichen oder frivolen Spiels mit Sprachformen der Vergangenheit....". Ihre produktive Seite hingegen liege in einer immanenten "†berschreitung der modernen Architektur...". Die †berwindung der Moderne sei im Sinn "einer Befreiung von den Simplifikationen und EinschrŠnkungen eines technokratischen Rationalismus" zu sehen.

Das Letztere ist vorerst insofern paradox, als die Postmoderne ja gerade darum produktiv werden konnte, weil sie - in dem Moment, wo die Moderne sich theoretisch aufzufŠchern begann und nach neuen Grundlagen suchte - sich ihrerseits mit einer groben Simplifikation in die Bresche schlug. Der ehedem weite Horizont wurde auf Stilfragen reduziert, die 'Bedeutung' der Architektur wurde zum Formalismus degradiert. Schliesslich ist der Kniff, mit dem Jencks dem technokratischen Rationalismus der Moderne seine kommunikative RationalitŠt entgegenstellt, recht einfach durchschaubar. Er liegt darin, dass der von der Modernen tabuisierte Stilbegriff auf die abstraktere Ebene der Sprache, resp. der Semantik gehoben wird und sich so in seiner konkreten Bedeutung enttabuisiert. Der Weg zur historischen Form ist wieder offen. Stil ist nun nicht mehr Zeugnis 'aus seiner Zeit', er wird Teil einer "kommunikativen RationalitŠt" die ihn - der historischen Bedeutung radikal entleert - bloss noch pluralistisch als Zeichen unter beliebigen Zeichen versteht.

Ein weiterer Einwand. Wellmer schreibt: ausser universalistischer Grundwerte kšnne man nach Jencks "kein System objektiv verbindlicher Bedeutungen mehr aufbieten...." es gebe nur den Weg "einen aus der Freisetzung kommunikativer Potentiale resultierenden 'Pluralismus' von Werten, Bedeutungen und Lebensformen" zu akzeptieren. Dazu gehšre "auch die Freigabe eines je verschiedenen RŸckgriffs auf Traditionen und auf die semantischen Potentiale der Vergangenheit."

Diese seicht resignierte Theoretisierung verkennt, dass eine andere Linie der Architekturtheorie mit zeitlich tieferen Wurzeln nicht untŠtig geblieben ist. Seit gut 3 Dezennien hat man sich auch anthropologisch um ein neues Bild von Architektur und Raum bemŸht. Es ist ein Feld, in welchem wissenschaftlich tragende Namen figurieren, wie etwa Otto Friedrich Bollnow und Martin Heidegger (Philosophie), Ludwig Binswanger (Psychiatrie), Jean Piaget (Psychologie des Kindes), Mircea Eliade (vergleichende Religionswissenschaft), Gaston Bachelard (Literatur), Werner MŸller (Geschichte), Dagobert Frey (Kunstgeschichte), Pierre Deffontaines (Geographie), Max Jammer (Physik) usw.. InterdisziplinŠr formierte sich so eine wichtige Forschung, die von der Architektur frŸh rezipiert worden ist (Christian Norberg-Schulz, Amos Rapoport u.a.). Dieses architektur-anthropologische Forschungsfeld hat sich vor allem Ÿber seine >architektur-ethnologische< Linie dynamisch auszubreiten begonnen, wie neuere Internationale Symposien in Kansas und Berkeley zeigen (1). Das wesentlichste, was sich in dieser Forschung abzeichnet, richtet sich nun vehement gegen Jencks These, dass sich "kein System objektiv verbindlicher Bedeutungen mehr aufbieten...." lŠsst. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade die in neue Gebiete vordringende anthropologische Architekturforschung (6) vermag aufzuweisen, dass die Entwicklung der Architektur, von ihren rekonstruierbaren AnfŠngen (subhumane Architektur) Ÿber typologisch fassbare Felder (semantische Architektur, domestikale Architektur), selbst als die Lieferantin der semantischen Bedeutungen angesehen werden kann, die die postmoderne Architekturtheorie nun - in massloser Verblendung - aus der sprachlichen Kommunikation herausdestilliert.

LŠsst sich derart anthropologisch erweisen, dass Architekturform wesentlich und grundlegend am Bau des menschlichen KulturgefŸges beteiligt war, so wird die Bedeutung der Architekturform - ganz im Gegensatz zu Jencks - wieder >objektiv und allgemein verbindlich<. Die pluralistischen Spielereien sind zu Ende. Und die Geschichte des Bauens insgesamt, im kultur-anthropologischen Sinne, wird eine neue WertschŠtzung erfahren, die sich vom neuen Licht anthropologischen Wissens bezieht. Falls sich gar zeigt, dass die architekturanthropologischen Hypothese 'der Mensch hat sich selbst gebaut' sich als kulturanthropologisch fruchtbar erweist, dann wŠre Human-Entwicklung nicht abgeschlossen, sondern ein andauernder Prozess, an dem Bauen und Raum massgeblich beteiligt waren und sind. Und da wird es unverantwortlich, der postmodernen Theorie diese demiurgische Funktion zu Ÿberlassen. Von dieser theoretischen †berzeugung aus ist die Kritik an Botta, eine Gallionsfigur der Postmoderne, nicht bloss Polemik um der Polemik willen, sondern indirekt auch PlŠdoyer fŸr eine verlŠssliche Grundlagen erarbeitende Architekturforschung.


Anmerkungen:

1
Vgl. Nold Egenter: Kunsthistorische Architekturtheorie - Auf Sand gebaut. AnsŠtze zu einer architektur- anthropologischen Semantik. In: UMRISS 1+2/84,:10-23, Wien

2
MŸnchen 1912:23/24. Wissowa's Arbeit ist auch heute noch zustŠndig, weil sie historisch exakt von den Quellen (Ritualtexten, Tempel-Chroniken, und RechtsverfŸgungen) ausgeht, die - meist frei erfundenen - Interpretationen der ršmischen Dichter und Philosophen nur am Rande zulŠsst.

3
Bern, 1966, 1975

4
Vgl. Nold Egenter: 'Affen-Architekten' - Die Nestbautraditionen der hšheren Menschenaffen - In: UMRISS 2/83,:2-9, Wien.

5
Vgl. Nold Egenter: Die Zukunft gehšrt der Theorie. Aufbruch zu einer kulturanthropologisch begrŸndeten Architekturtheorie (UMRISS 1/87,:38-42, Wien)

6
Primatologie: s. Egenter 1982b, 1983a, 1987a; Religionswissenschaft: s. Egenter 1980b, 1981b, 1982a, 1983d, ; ArchŠologie s. Egenter 1986a; Kunstgeschichte (semantische Architektur): s. Egenter 1984a, 1986b, 1987b, d, e, f, g, 1988a, b, d, f etc.


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