MARIO BOTTA:

DIE GESCHICHTE IST MEIN GUTER FREUND

Geschichtsklitterung als Entwurfs-Prinzip?

Kritische Entgegnung

von Nold Egenter


VORWORT

Ein Architekt, der aus Praxis ausgestiegen ist und sich der anthropologischen Forschung zugewandt hat, hat das Recht, oder vielmehr die Pflicht, sich von Zeit zu Zeit zu fragen, wie seine Resultate, oder allgemeiner wie Theorie von der Entwurfspraxis rezeptiert wird. Dieser Beitrag möchte die Diskussion in dieser Richtung in Gang bringen.

Die nachfolgende Polemik gegen ein Interview mit Mario Botta in der >Archithese< 4-87 kam auf Anfrage der Redaktion zustande. Ursprünglich war ein kritischer Artikel in der gleichen Nummer geplant. Aus Zeitgründen und aus einer gewissen Fairness einigte man sich auf einen Leserbrief in der folgenden Nummer (5-87). Der scharfe Stil rechtfertigt sich aus der Transskription des Interviews, die dem Autor zur Verfügung stand. Das in der Archithese abgedruckte Interview ist eine stark korrigierte und seiner provokantesten Stellen beraubte Version. An sich wäre die Gegenüberstellung im objektiven Sinne wertvoll. Leiter verbieten es die in der Publizistik üblichen Umgangsformen den ursprünglichen Text hier dem Leser vorzuführen.

Um die Position deutlich zu machen, aus der sich die Polemik speist, ist am Schluss ein Epilog hintangestellt, der auf die >Dialiektik< zwischen Moderne und Postmoderne hinweist.

BOTTA: DIE GESCHICHTE IST MEIN GUTER FREUND

Botta, ein Phänomen! Ein Senkrechtstarter. Wen interessierte das nicht? Die Bibliographie zählt an die 200 Schriften. Sogar in Japan: die Auditorien sind vollgestopft. Ha, die postmodernen Schatzkästlein in der Landschaft! Und jetzt dieses Interview in der letzten Archithese. Was geht hier eigentlich vor?

Da wurden doch über rund 20 Jahre Unmengen von Büchern geschrieben. Man meinte, es sei klar: heute ein anständiges Haus, eine lebensfördernde Stadt zu bauen, das galt bis vor kurzem den meisten als schwierig. Man lag sich in den Haaren. Krise der Architektur!

Nun kommt einer, fegt das alles vom Tisch, stellt ganz unbekümmert seine neo-klassizistischen Schmucktruhen ins zersiedelte Tessin. Man entdeckt die Kleinode! Super-Photographen von weit her saugens mit hohen Brennweiten in allen Details ein, damit ja nichts von den umliegenden 'Dummheiten' draufkommt. Und schon ist er da der neue Heiland, der neue Gott. Spricht wie ein Poet blauäugig daher. Vom grossen Erbe. Von Ewigkeit. Von Licht und Dunkel, vom Himmel und Erde, als wären wir am achten Tag der Schöpfung, an dem die Architektur erschaffen wird. Wie kommmt es zu dieser >Umwertung aller Werte< innerhalb von wenigen Jahren? Brechen wieder die guten alten Zeiten der 'guten Hirten' an, oder handelt es sich bloss um einen neuen - vorläufig noch sanktionierten - Sprayer in unserer Landschaft?

Eigentlich ist es gar nicht so schwierig, Botta's Rezept, eine recht einfache Suppe. Drei, vier Ingredienzen: eine Prise Reaktion, dann eine Prise Verwechslung von Architektur und Religion und sehr viel Falsches, was die Geschichte angeht. Zudem, das Ganze mit reichlichem Pathos der Selbstfeier serviert, für Feinschmecker etwas versalzen. Doch, lassen wir letzteres.

Zum ersten. Das Reaktionäre. Wie wars doch lange sooo kompliziert. Da wurde kritisiert, publiziert, geforscht. Da wurden des langen Begriffe erörtert, Erhebungen mit umständlich vielen Zahlen gemacht, Theorien gebaut und verfochten. Da wurde gedruckt, gelesen, doziert, lamentiert. Als alles am Boden lag, rief man die Krise aus. Nun ist alles wie auf einmal weggeblasen. Botta hat die Lösung! Also hinterher die Herde, der guter Hirt ist wieder da. Wie ist doch das Einfache schön.

Zum Zweiten, Bottas Prise Verwechslung. Die grosse Vereinfachung des guten Hirten stammt paradoxerweise aus der Religion. Dort gehts ja auch um das Einst im Jetzt, um die Ursprünge im Heute. "Archaik des Neuen" wie sich Botta's pathetische Deklamation vor Stirlings Stuttgarter Nationalgalerie betitelt. Also flugs 'Himmel und Erde', die ganze Schöpfung hergezaubert, das ewige Licht wird wieder zum Wichtigsten gegen das finstere Dunkel, der ewige Stein, gegen die grosse Vergänglichkeit. Alles wie's im allwissenden Büchlein steht. Die ewige Geometrie des Kosmos! Auch Platon ist wieder zu Gast. Wieder die gleiche Gigantomanie wie einst. Ganz klar, der Architekt weiss wieder was er will, er hat wieder was zu sagen. Grosse Worte, grosse Werte, grosse Spiele. "Die symbolische Bedeutung der Architektur ist die Architektur." Das Theater wird wieder zur Arena. Schmeckt das alles nicht nach Deja-vu? Braucht Architektur wieder 500- (oder gar 1000-) jährige Ewigkeiten wie das Botta für seine >Kirche für Niemanden< verlangt?

Da haben wir nun rund 50 Jahre die Geometrie in alle Türen und Fenster der Welt gepaukt, alles von vorne bis hinten rationalisiert und merken langsam, dass es da ja auch noch den Menschen gibt. Unwirtlichkeit der Städte! Rasterfassaden. Betonwüsten. Der öde Geist der geometrischen Allgewalt. Und da kommt die gleiche geometrische Dressurnummer wieder durch das religiöse Hintertürchen herein.

Architekturtheorie als Religion? Achsen ins Jenseits, Himmel und Erde, Kreis und Mitte der Welt. Plus etwas Lichtmystik. Jedenfalls Urzeit als Offenbarung. "Wunder der Geometrie, das mittels des Lichtes entsteht." Und weiter gehts wie in der Bergpredigt. "...eine ganz einfache Form machen," will er, der gute Hirt, "bei der eine aufsteigende Ellipse zerschnitten wird, so dass sie zum Kreis wird." Wozu das klügelnde Metamorphöslein? "Die Ellipse hat zwei Zentren." Das wär' natürlich nichts für die Mitte der Welt, Bottas Achse, die Himmel und Erde verbindet. Doch raffiniert, der Grundriss bringts! Durch den Horizontalschnitt "wird sie zu einer reinen Form, zum Himmel hin." Es ist vollbracht. Armes geplagtes Mogno. Zuerst die Lawine, nun das!

Religion macht stark! "Von primären Formen" ist die Rede "mit denen man sich der Natur widersetzen kann." Architektur als "Antinatur"? Das machte vielleicht bei Wildbeutern und Agrarvölkern noch Sinn. Rundhütte in der Wildnis. Schön. Antinatur. Doch waren wohl erstens die Primitiven diesbezüglich weit differenzierter als Botta. Das hing mit einer gewachsenen und fein strukturierten lokalen Weltsicht zusammen. Dagegen nimmt sich diese schwülstige Rhetorik recht plump aus. Und das heute! Ein "starkes primäres Objekt" stellt er "gegen die Elemente der Natur",..."um der Geste des Menschen mehr Kraft zu verleihen und ihn von der Natur zu trennen." Sind nicht die "Gesten" derjenigen, die mit der Technik Gigantomanie spielen gerade heute so krass "kräftig", dass die Natur gegen den Menschen revoltiert? Und da macht sich noch einer stark gegen die Natur? "Aber der erste Akt ist ein Gewaltakt. Um Architektur zu machen, muss ich die Natur töten."

Ein Manifest "grosser Gedanken". Zum Beispiel Zeit! "Ich sagte: Ich werde die Kirche bauen, unter einer Bedingung: Sie soll nicht bloss 50 Jahre stehen, sie muss 500 Jahre stehen." 500 Jahre, das macht grob geschätzt etwa 20-25 Generationen. Echt biblische Dimensionen. Ganz erkleckliche Weitsicht. Wohlverstanden, nicht bloss gewöhnliche Leute von heute sollen des Zeugnisses grosser Gedanken teilhaftig werden: Nein! "Das ist das Fantastische. Diese Kirche muss für unsere Kinder, für die kommenden Generationen ein Zeichen sein." Der ganze theologisch verbrämte Klimbim gilt nicht der Weisheit des Himmels. Es geht um die "grossen Gedanken", oder - um einen neuen Personenkult.

Zur Religion gehören Menschen. Wer soll denn dort zur Kirche gehn? Wer soll in diesem Raum ohne Wasser, ohne Elektrizität und Kanalisation die Kerzen anzünden? Wer soll in diesem "Raum der Meditation" denken, schweigen? Es gibt ja kein "Bedürfnis nach der Kirche als Zeichen der Gemeinschaft."! Mogno braucht keine, "denn es hat kaum noch Einwohner in diesem Dorf, und es wird auch kein Gottesdienst mehr abgehalten." Eine Kirche für Niemanden? Eine soziale, eine kultische Ruine? Weit gefehlt! Es wird eine neue Art Pilgertum geben. Eines das die "grossen Gedanken" anbetet. Selbst dann noch, wenn bloss Ruinen stehen, wird man in 500 (oder tausend?) Jahren das leere Loch bewundern, mit dem einer aus einem kleinen Dorf einst ein Stück Himmel schnitt. "Ich habe Ruinen immer schon geliebt."

Ellipse und Kreis, Himmel und Erde, Mitte der Welt. Es ist klar.Der technische Rationalismus hat ausgedient. Schnell ist er ersetzt durch einen neuen. Botta's religiös verkitschter Rationalismus , das neue Heil! Das Erstaunliche bei all dem Wortschwall à la carte: die Formschöpfung ist mager, der Formfortschritt ein peinlicher Rückgriff. Was nicht erstaunt, da ja die bottanische Religion die Rationalität der Formen mit der Technik teilt: Mogno, Reaktorattrappe für den neuen Gott aus dem Tessin?

Also bitte: die Geschichte der Architektur hat zwar vieles gemeinsam mit der Religion. Aber deshalb nun gleich beide in den gleichen Topf zu werfen, das wäre verkehrt. Nein, sooo einfach geht es nicht. Man kann heute nicht mehr bloss mit Ellipsen und Kreisen im Raum herumfuchteln. Das kommt alles viel zu banal heraus, sobalds in die grossen Masstäbe geht. Gerade das wissen wir doch, heute, wie nie zuvor. Man muss dann eben etwas mehr bieten über den von der Architektur erschaffenen Ort, als bloss einige zusammengeknobelte Historismen.

Und da sind wir beim dritten Punkt, dem viel Falschen aus der Geschichte. "Ich glaube, dass ein Architekt sich mit den Zeugnissen der Vergangenheit" ... nicht bloss der rationalen, "auch mit denjenigen der gesamten Architektur auseinandersetzt." Schön wärs. Doch die Geschichte ist offensichtlich nicht jedermanns Liebling, auch wenn man sie zum Freunde hat. Die Mottenkiste als Freund? Wir wollen kurz drei für Botta typische Archetypen herauspicken und sehen was das Zeug hält.

Der architekturgeschichtliche Archetyp

Ist es nicht etwas einfach, wenn man die Baugeschichte auf das Loch im Pantheon reduziert? Auch wenn heute nachweislich ein gewisses Bedürfnis nach Vereinfachung der Dinge besteht, so müsste man vielleicht doch in Rechnung stellen, dass das Pantheon - neben seinen geometrischen Eigenschaften - zu den wichtigsten Staats-Heiligtümern des kaiserlich-römischen Imperiums gehörte, somit wohl nicht nur Geometrie verkörperte. Zum Beispiel Kult. In ihm dominierten die späten, julischen Götter Mars und Venus, nicht mehr die tarquinischen Jupiter, Juno und Minerva, geschweige denn die älteste Trias Jupiter Mars Quirinus, noch das wohl älteste Paar Janus und Vesta, das im ältesten Rom noch in jedem Haus an den Türpfosten und im Herd verehrt worden war: Herd und Tür, wie in einer Hütte. Bei diesem Paar liegt allenfalls das Archetypische! Herd und Tür, ganz unschwülstig und kleinräumlich. Nichts von Geometrie. Nichts von schwerem, dickem, ewigem Stein. Nichts von kosmischer Gigantomanie. Ein kleines Speiseopfer von Zeit zu Zeit, eine Geste der Verehrung an den überlieferten Gott des gebauten Orts. Doch: man müsste das eben einmal genauer untersuchen! (1) Das Pantheon hingegen ist eine sehr entwickelte, eine sehr späte Errungenschaft Roms. 25 v. Chr. wurde es geweiht und gehört mit anderen Vorkehrungen dieser Zeit zu einer von mehreren Massnahmen, die eine Schwerpunktverlegung althergebrachter Institutionen vom Kapitol zum Palatin, vom Forum Romanum zum caesarischen Forum zum Ziele hatten und letztlich der Stärkung des julischen Geschlechtes galten. Politik wurde damals wesentlich auch mit Religion und Architektur gemacht! 13 Jahre später erklärte sich Augustus zum Pontifex Maximus aller Götter des Reiches. Aus Liebe zur Geometrie? Diese Zeit leitete die sog. Blüte des römischen Kaiserreiches ein und ein Blick ins Geschichtsbuch würde wohl jedem zeigen, dass da von Archaik nicht mehr die Rede sein kann. Stellt man auf die legendäre Gründung ab, so hätte Rom bereits gut 700 Jahre hinter sich. Na bitte! Hören wir doch auf, so unsinnig von Archetypen zu reden.

Was den 'Grossen Geist', den Botta in die römische Archaik projiziert, angeht: zum ältesten Rom der Königszeit sagt Wissowa in seinem >Religion und Kultus der Römer< (2): "Die in dieser alten Götterordnung sich offenbarenden religiösen Anschauungen sind schlicht und einfach, es spiegeln sich in ihr die Interessen einer in Ackerbau und Viehzucht, in harter Arbeit und endlosen Kämpfen lebenden Gemeinde. Von einer unmittelbaren Verehrung der zu persönlicher Vorstellung erhobenen Mächte und Erscheinungen der Natur zeigen sich keine Spuren, nirgends finden wir eine Hindeutung auf einen Gestirndienst, Sonne und Mond, Sturm und Gewitter, .... Ebensowenig aber sind es ethische Ideen, die in den Göttern verkörpert sind: die grosse Zahl von Abstraktionen, von göttlich personifizierten Eigenschaften, die wir in späteren Perioden der religiösen Entwicklung in Rom antreffen ... fehlt hier noch vollständig." Man muss also ein Wenigstes von Religion und Geschichte verstehen, wenn man über Archetypen der Architektursymbolik sprechen will.


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