ARCHISACRA 95, WARSCHAU

UNERWARTETE BLICKE IN DIE ZUKUNFT DES MITTELALTERS

Bericht über die Internationale Konferenz unter dem Patronat der >International Union of Architects< (IUA), Sektion Polen (SARP), Warschau 19. Mai

von Nold Egenter


EINLEITUNG

Mit der kürzlichen Wende begann im katholischen Polen und seinen orthodoxen Anrainern, etwa der Ukraine, etwas, das man sich im Westen wohl kaum hätte vorstellen können: eine intensive Neubelebung des Kirchenbaus. So sind in der Ukraine seit der Unabhängigkeit 1991 rund 500 Kirchen neu im Bau [Kryvoruchko] und ähnliches gilt auch für Polen.

Zweifellos, diese Entwicklung bedeutet für die Architekten einen neuen einträglichen Tätigkeitsbereich. Zum andern ist aber offensichtlich in der kommunistischen Zeit viel des symbolischen und formalen Wissens zum christlichen Sakralbau verloren gegangen. Aus diesen Gründen veranstaltet die Fakultät für Architektur an der >Warschauer Technologischen Universität< [unter Konrad Kucza-Kuczinski] seit 1993 unter dem Titel >ARCHISACRA< jährliche Konferenzen, 1995 erstmals 'international' angekündigt. 'Ein Zeichen in einem zeitgenössischen heiligen Raum' war der Titel. Programmatisch wurde auch in dem einleitenden Referat [Kuca-Kuczynski] der vergleichende Standpunkt zwischen den Religionen betont.

Doch beides, sowohl der internationale Anspruch wie der versprochene interkulturelle Horizont waren enttäuschend. Thematisch und in der personellen Besetzung wurde das Programm nicht eingehalten. Es ging um spezifisch polnische und insbesondere katholische Sichtweisen. Provinziell also. Beiträge zu anderen Religionen blieben marginal [jüdisch, Walicka] oder überhaupt abwesend [Japan, Nagashima]. Auch das attraktive Plakat war irreführend. Indem es rund zwanzig uralt-sakrale Zeichen verschiedener Religionen im gleichen Rahmen zeigte, suggerierte es einen sehr viel weiteren Horizont als bloss den von katholischen und orthodoxen Kirchen in und um Polen.

Das wäre ja alles noch verzeihlich, besonders wenn man sich darüber klar ist, dass es in Architekturschulen ja vordergründig um Design geht, weniger um Wissenschaft, auch wenn mancheiner heute gern das Wort Architekturtheorie in den Mund nimmt, um seinen kreativen Einfällen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Hinzu kamen aber einige weitere Punkte, die den Anlass in ein recht fragwürdiges Licht rückten.

Schon in der Einleitung angekündigt, stützte sich auch in der Folge das meiste der Beiträge auf Mircea Eliade's räumliche Strukturprinzipien des religiösen Raums. Eliade scheint hier geradezu neu entdeckt worden zu sein, ja, dessen Thesen gelten hier - seit der Papst dazu seinen Segen gegeben hat - als Doktrin wenn es gilt von verschiedenen Religionen vergleichend zu sprechen.

ELIADE - EINE NEUE DOKTRIN?

Folglich wurde auch das ganze Spektrum der von Eliade herausgearbeiteten Symbolismen reichlich zitiert. Man sprach von Golgatha als Zentrum der Welt, vom heiligen Berg auf dem die katholische Kirche zu errichten sei, von der Bedeutung der Orientierung des Sakralen im Raum, von der Axis Mundi, die Himmel und Erde verbindet, natürlich vom Zelt und der Kuppel als Himmelssymbol.

Allerdings, was bei Eliade immerhin wissenschaftlich distanziert geschildert, somit durchaus lesbar ist, geriet hier im Fokus auf die polnische Kirchen-Architektur (und wohl auch unter dem Einfluss römischer Konstellationen) zu eigentlichen Glaubensbekenntnissen ["Ungläubige sind Psychopathen", Kucza-Kuczynski]. Da kam eine rührig ältere Ordensschwester zum Wort, die die Hörer von ihrem tiefen Glauben an die Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut zu überzeugen suchte und wie sich dies auf die Altargestaltung auswirkte [Walicka]. Am Schluss grosser Beifall. Weiter trug ein Priester, sichtlich mit grosser innerer Erregung, die Bedeutungsgeschichte des heiligen Kreuzes als Siegeszeichen Christi vor [Horizontale als Umarmung der Menschheit, Salij]. Solcherart des religiösen Eiferns - das auch andere Beiträge kennzeichnete - muss an einer Technischen Universität und Architekturschule erstaunen. Man sprach vom Christusbild mit brennendem Herzen als Vorbild für den Entwurf von Kirchen [Kosinski]. Ein anderer sprach über den Bau eines Christus-Kreuzes aus rohem Holz [Buszko]. Auch Statuen der Maria und des guten Hirten wurden als "urbane Elemente" ins Auge gefasst. So verstand man denn auch Eliade's Hierophaniebegriff durchaus konfessionell als "Manifestation zwischen Mensch und Gott". Man müsse wieder zurück zur "Ordnung Gottes der Dinge" [Trzeciak].

ELIADE: KRITISCH

Nun ist aber gerade Eliade's Begriff der Offenbarung (Hierophanie) wesentlich der europäischen Theologie verhaftet und produziert unhaltbare Verzerrungen in seinen Übertragungen auf Religionen, die sich in anderen Kulturen entwickelt haben. Im japanischen Shinto zum Beispiel sind Eliades Thesen - auf Sekundärquellen gestützt - völlig unhaltbar. Überdies hat die europäische Basis, auf die sich Eliade stützt, durchaus ihre problematischen Stellen in der mittelalterlichen Scholastik. Man erinnere sich an das Nicaenum (325 n.Chr.). Dort wurde, wesentlich gegen den Arianismus, die theoretisch offenbar nicht tragenden Grundlagen des Christentums durch eine - bis heute folgenreiche - theologische Synthese aufgewertet, indem man sie mit dem konstitutionellen Gottesbegriff vorderorientalischer Staatsverfassungen - insbesondere jenem der jüdischen - verband (Gottes-Sohn-Frage: "Wesensgleichheit"). Kurz danach geschah das neutestamentlich Unverständliche, die Verbindung mit Staatsmacht. Das Christentum wurde in den weströmischen Untergangswirren, nach anderen orientalischen Anleihen, wesentlich unter Kaiser Konstantin, im Sinne eines letzten Rettungsversuchs, römische Staatsreligion (391). Man kann erst abschätzen was das heisst, wenn man Christus nun in der Linie der Cäsaren-Feldherren sieht, die sich noch selbst als Staatsgötter deklarierten. Schliesslich kam mit Papst Gelasius I. die Zwei-Schwerter (oder zwei Gewalten-)Theorie ins Spiel. Gestützt durch den unkritischen Neoplatonismus des Mittelalters wurde die These von einer absolut geistigen und einer weltlichen Macht wesentlich politisch gegen die weltlich mächtigen Franken und Ottonen entwickelt und bildete die Grundspannung des ganzen Mittelalters (Universalienstreit, Investiturstreit, 1077 Canossa Heinrich IV.; 1303 Gefangennahme des Papstes), ja dauert bis heute. Kurz, wenn man diese Entwicklungen des "Reiches Gottes" auch etwas von der territorialpolitischen Seite her beleuchtet - wobei das Sakrale funktional begreifbar wird - so wird nun auch die Zeichengeschichte um einiges humaner. Jedenfalls: solche Dinge muss man diskutieren, wenn man - international - über Architektursymbolik spricht.

SAKRALER RAUM UND SAKRALE ZEICHEN: EIN BLOSS KATHOLISCHES THEMA IN DER ARCHITEKTUR?

Das Hauptproblem der Konferenz lag entsprechend darin, dass man eine echte Auseinandersetzung der wichtigen Termen 'Architektur', 'sakraler Raum' und 'sakrales Zeichen', dadurch auswich, dass man sich auf Rückprojektionen beschränkte. Der neutrale Begriff des Zeichens, dh. im speziellen Kontext, die 'semantische Charakterisierung sakraler Raumstellen' verlangt einen sehr viel weitern Horizont, will man nicht das eigene Material, wie auch die Zeichen selbst scholastisch verfälschen. Die Kontinuitäten des judäo-christlichen zum vorderorientalischen Kultur-Raum wären anzuführen, insbesondere die Zeichen und Symbole der aegyptischen und mesopotamischen Altkulturen.

Auch begrifflich war man sich oft recht unklar, worüber man eigentlich redete. Ein Referat zum Beispiel [Uscinowicz] betonte die "transhistorische" Rolle der Tradition in der Suche nach der Gegenwart, stützte sich dann aber handfest auf geschriebene Geschichte, als es galt die Vorstellung der "Rückkehr zu den Ursymbolen" zu illustrieren: Mit der Trennung von Himmel und Erde und des Lichtes vom Dunkel, auch mit dem Gegensatz von 'nackt' und 'gekleidet' wären mit der Schöpfung und mit Eva und Adam die ersten grossen Axensysteme, Gegensätze und Dualismen entstanden. (Ein anderes Referat leitete die Entstehung der Wand in der Architektur von der Vertreibung aus dem Paradies ab!).

DIE BESCHWÖRUNG DES MITTELALTERS

Geradezu erschreckend waren die ganz im mittelalterlichen Sinne historistisch auf die Bibel abgestützten Herleitungen des "Ursprünglichen". Sie gehen an etwas Grundlegendem vorbei. Das Mittelalter hatte wesentlich nur schrift-historische Quellen, darunter gehörte das jüdische Alte Testament zum ältesten, das man kannte. Das Ableiten der Ursprünge war zeitbedingt legitim. Entsprechend galt Jerusalem damals noch als die erste Stadt, Hebräisch als die erste Sprache, geschrieben als erste Schrift. Dass solches Denken heute ein mehrhundertjähriger Anachronismus und nur bei völlig Ungebildeten verzeihlich ist, dürfte jeder einsehen, der schon einmal etwas von den Leistungen der vorderorientalischen Archäologie und den modernen Humanwissenschaften gehört hat! Der Griff nach kulturanthropologischen Allgemeinbegriffen wie Zeichen und Symbol wird entsprechend gefährlich regressiv, wenn man sie derart bloss im mittelalterlichen Sinn historistisch eng verwendet.

VERZEIHLICH: MAN HAT IN WARSCHAU NOCH NICHTS GEHÖRT VON DER NEUEREN ARCHITEKTUR FORSCHUNG

Offensichtlich waren die Konferenzorganisatoren auch über die neuere Architekturforschung nicht im Bild. Gemeint ist jene seit Amos Rapoport's 'Built Form and Culture' (1969) weltweit in Gang gekommene Forschung, die den engen Horizont der Kunsthistorie als "Architekturtheorie" sprengt, sich global traditionellen Bau- und Siedlungsformen widmet (Traditional Dwelling and Settlement Research, Berkeley, USA), Architektur im weiteren, gelebten Umraum untersucht (Environmental Design Research, Kansas, USA). Ähnliche Forschungsnetze gibt es auch in Europa, Australien und Asien (insgesamt etwa 2-3000 Forscher verschiedenster Disziplinen), die sich alle mit Architektur-Ethnologie und Architektur-Anthropologie im weitesten Sinne befassen. Im Verhältnis zu dem in diesen Konferenzen und Publikationen der neueren Architekturforschung ausgesteckten beachtenswerten Forschungsstand zeigte die ARCHISACRA-Konferenz in Warschau ein Diskussionsniveau, das man sich vielleicht vor 25 Jahren noch hätte erlauben können. Jedoch: heute nicht mehr.

SCHLUSS

Jenseits aller kritischen Einwände gegen das sachlich Gebotene geht es letztlich auch um das Problem der informativen Isolation. Die Konferenz zeigte deutlich, dass derart dilettantisch betriebene "Architekturtheorie" im geographisch und politisch bedingten Informations-Vakuum nur allzuleicht in den Strudel nationaler Strömungen geraten kann.
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