HABITAT THEORIE DER KULTUR


Im Hinblick auf das moderne System hochspezialisierten Wissens mit seinen Millionen von Büchern, die man weltweit in hochbewerteten Bibliotheken aufbewahrt, auch mit Blick auf den riesigen Apparat von Disziplinen und Subdisziplinen scheint es absurd von einer 'Theorie der Kultur' zu sprechen. Aber jeder, der dieses Wissen einigermassen im Ueberblick und stellenweise mit Tiefen kennt, wird auch seine Schwächen kennen.

Geschichte? Die Weltsicht des Mittelalters stützte sich fast vollumfänglich auf geschriebene Geschichte. Heute ist jedem klar, dass das ein sehr enger Horizont war. Dieses Weltbild lebt heute in der Auseinandersetzung mit zahlreichen wissenschaftlichen Fakten, die es in Frage stellen. Und Vielen ist es damit auch höchst fragwürdig geworden, ob die geschriebene Geschichte das Vertrauen verdient, das andere in sie legen. Geschichte im engeren Sinn lebt immer davon, dass sie Wesentliches auch ausschliesst. Tritt dieses zuvor Ausgeschlossene plötzlich ins Gesichtsfeld, so kann es unter Umständen das Geschriebene selbst in Frage stellen.

Andere Spezialisten, die entweder in traditionellen nicht europäischen Kulturen arbeiten (-> Ethnologie) oder sich mit aussereuropäischen Hochkulturen befassen (-> Sinologie, Japanologie, Indologie etc.) sind sich oft nicht so sicher, ob das, was sie über diese Kulturen zusammentragen auch faktischen Charakter hat. Zu gross sind die Diskrepanzen zwischen dem bewältigbaren partikulären und der kulturellen Gesamtphänomen. Und so gibt es immer wieder Ueberraschungen, von oben oder von unten. Wir begnügen uns letztlich mit einem Wissen 'von Tag zu Tag' das in der Dramatik der Medien seinen sichtbarsten Ausdruck findet.

Mensch und Kultur! Das ewige Oszillieren der Theorien (Mühlmann). Paradoxerweise erzeugt gerade das, womit man die immer wieder über den Haufen geworfenen Ergebnisse entschuldigt, die Undurchsichtigkeit der Sache: die facettierte Blickweise der Disziplinen und die analytisch differenzierende Methode. Sie legitimieren einen infiniten Pluralismus, der sich theoretisch apriori eigentlich ausschliesst wenn wir vom Menschen und seiner Kultur sprechen. Wäre es andersrum denkbar, den endlosen Verwicklungen aus der Beschränkung etwa auf den unbegrenzts variablen und eigentlich leeren Sammelbegriff Kultur dadurch zu entgehen, dass man Kulturforschung von einem präzisierbaren Grundbegriff (-> Siedlung) her neu angeht und aufbaut?

Das westliche Denksystem profitierte Jahrhunderte - und oft auch heute noch - von seiner kulturellen Überlegenheit. Andere Kulturen wurden gezungen, sich mit den westlichen Werten zu identifizieren, obschon dies mit den Erfahrungen der eigenen Kultur meist heftige Konflikte erzeugte. Ein Konfliktstoff von Jahrhunderten, der sich von der subjektiv-individuellen Ebene bis zur staatspolitisch internationalen Ebene zieht.

Was jedoch die europäische Kulturforschung Wissenschaft nennt ist weithin bloss ein mit der europäischen Geschichte gewachsenes Wertsystem, das sich in philosophischen Spekulationen, künstlerischen und religiösen Strukturen ausdrückt. Die neuerlich starke Globalisierung der kultureller Schnittstellen wird zweifellos das westlich-europäische Kulturverständnis vermehrt dem interkulturellen Vergleich aussetzen. Dass das auch ein Aussetzen des Selbstverständnisses bedeutet, liegt auf der Hand. Es ist nicht so sicher, dass die westlichen Kulturen diese bevorstehenden Kraftproben mit neuen Kulturverständnissen intakt überstehen.

Es ist diese Einsicht in eine ganze Reihe von eurozentrischen Fiktionen, die letztlich die Verwegenheit stützt, von 'Kulturtheorie' zu sprechen. Wenn der objektive Sachverhalt 'Siedlung', der - ähnlich wie eine Zelle in der Biologie - den Gesamthaushalt einer Kultur letztlich konstituiert, sich als höchst komplexes Phänomen erweist, so ist es evident, dass jede konventionelle, westlich-wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Phänomen den komplexen Sachverhalt apriori in Stücke schneidet. Zeigt sich weiter, dass ein solcher Siedlungskomplex sich in relationalen (polaren) Bedingungen konstituiert, so wird es auch klar, dass hier jedes westlich-wissenschaftliche Vorgehen auch diesen Sachverhalt apriori isoliert. Der Gesamtzusammenhang bleibt verborgen. Man kann so zur Vorstellung kommen, der westliche Kulturforschungsapparat hätte über Jahrhunderte zwar viel Wissen über andere Kulturen zusammengetragen, aber in vielen Domänen wäre dieses Wissen grundsätzlich und fundamental präjudiziert.

Kurz, die 'Habitat-Forschung' zeigt uns einen induktiv gewonnenen ' Siedlungsgenetischen Kern-Komplex ', der sich, gestützt auf die veränderten Parameter, sequentiell in eine Typologie von Siedlungsweisen verarbeiten lässt. Diese zeigt sich in ganz verschiedenen Kulturen universell als fruchtbar und liefert uns neue Erklärungen. Sie stehen in krassem Gegenteil zu dem, was uns die Geisteswissenschaften lehren. Unterhalb der ungeheuren Mengen von Verschiedenheiten unter den verschiedenen Kulturen, liegt eine höchst erstaunliche strukturelle Kontinuität bezüglich der Art, wie der Mensch sein Habitat organisiert. -> Siedlungsgenetischer Kern-Komplex.

Der überzeugendste Aspekt dieser primär in nicht-europäischen Kulturen rekonstruierten Habitat-Theorie der Kultur zeigt sich jedoch darin, dass sie gerade im euro-mediterranen Kulturkreis erstaunliche neue Zusammenhänge aufzuzeigen vermag. Es wird Aufgabe des pluridisziplinären Glossars sein, aufzuweisen, wie viele etablierte Begriffe der euro-mediterranen Kulturgeschichte sich im Kontext der 'Habitat Theorie der Kultur' mit recht neuen Akzenten darstellen lassen.

Schliesslich - und nicht am unwichtigsten - bringt uns die Habitat-Theorie der Kultur einen neuen höchst objektiven Typ von Anthropologie. Sie berichtet uns über kulturell gemeinsame Züge der Menschheit. Sie durchbricht damit die Grundebene der heutigen Humanforschung, die, ansgesichts der von ihr kreierten kulturellen Vielfalt - über dem physisch Gemeinsamen - bloss wenige und sehr allgemeine gemeinsame kulturelle Züge anzubieten hat. Ganz anders die Habitat Theorie der Kultur. Sie beschreibt existentielle Grundlagen, die - als komplexe kulturelle Ausformungen - in verschiedensten Kulturen sehr ähnliche Strukturen zeigen.

Was aber am erstaunlichsten ausfällt an dieser Habitat Theorie der Kultur, liegt darin, dass sie uns - mit einigen wenigen Parametern - vernünftige Erklärungen liefert für das, was die konventionelle Humanforschung uns als endlos varierte Mannigfaltigkeit beschreibt. Habitat Theorie der Kultur: vielleicht die Anthropologie des 3. Jahrtausends!


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